

September ist ein Monat, in dem die meisten deutschen Schulkinder wieder zurück in die Schule müssen. Deswegen hat sich das MyHeritage-Team entschieden, im Laufe des Monats über die Schule von heute und von früher zu berichten.
Angefangen haben wir mit dem Thema Einschulung (wer den Blogpost verpasst hat, hier geht es zum Artikel), und heute möchten wir unsere Schulreihe fortsetzen mit einer leider traurigen Geschichte von einer polnischen Nutzerin.
„Der 1. September ist ein besonderer Tag. Er ist eng mit dem Anfang des Krieges und den düsteren Jahren der Besatzungszeit verbunden. Deswegen habe ich mich entschieden, die Geschichte meiner Mutter zu erzählen.
Als der Zweiter Weltkrieg begann, war meine Mutter noch nicht 8 Jahre alt und war gerade in die 2. Klasse gekommen.
Als meine Mutter anfing, mir ihre Kindheitsgeschichte zu erzählen, musste sie plötzlich innehalten und abwägen. Ich habe mich gar nicht getraut, ihr Schweigen zu stören, sie war von den vielen Gedanken überwältigt und ganz weit weg. Sie guckte mich mit sehr traurigen Augen an, und fing an zu erzählen:
Und plötzlich war alles vorbei. Mama hat uns um 6 Uhr morgens aufgeweckt und sagte traurig, dass wir heute nicht in die Schule müssten und, dass wir zu Hause bleiben sollten. Es war der 1. September 1939. Ich fing an zu weinen, denn Stasia (meine älteste Schwester) hatte mir versprochen, dass wir nach der Schule in den Poniatowski Park gehen würden, wo wir dann die Schwäne füttern könnten. Ich liebte es, in die Schule zu gehen und ich war sehr traurig, dass ich meine Freunde nicht sehen würde. Kurze Zeit danach wurden alle polnischen Schulen geschlossen. Meine Schulbildung hörte erstmal nach der 1. Klasse der Grundschule auf.
Am ersten Tag des Krieges gab es nur Chaos. Die Leute liefen umher und wussten gar nicht, was sie mit sich selbst machen sollten. Wir saßen im Hof und immer wieder guckten wir hoch und sahen wir die deutschen Bombenflugzeuge, die Richtung Warschau kamen. Am nächsten Tag fielen Bomben in Lodz.
Bis 1943 ging ich nicht mehr in die Schule. Obwohl die Deutschen ein paar Schulen für polnische Kinder aufgemacht haben, sind nicht alle Kinder hingegangen. Die Schulausbildung dort dauerte 2 Jahre. Es wurden nur Kinder aufgenommen, die einen Brief von dem deutschen Arbeitsamt erhielten. Die Kinder fingen die Schule mit 12 Jahren an und mit 14 waren sie bereit für die Arbeit (Zwangsarbeit). Die Schulleiter waren alle Deutsche und viele von den Lehrern auch. Das Ziel dieser Schule war, den polnischen Kindern Disziplin, die deutsche Sprache und Zahlen (aber nur bis 1000) beizubringen.
Von meinem Wohngebäude gingen nur Czesia und ich in eine deutsche Schule. Meine Schule war auf der Skierniewicka Straße und wir hatten Glück, dass unsere Lehrerin Frau Orlowska war. Eine Deutsche mit polnischen Hintergrund. Sie war eine ältere Dame, die uns nie schlug oder anschrie, was in anderen Klassen oft der Fall war.
Kinder wurden für jeden Grund geschlagen: z.B. weil sie zu spät waren oder eine falsche Antwort gaben. Da Frau Orlowska solche Bestrafung nicht benutzte, mochten wir den Unterricht und nach 2 Jahren konnte ich gut deutsch sprechen.
In meiner Klasse wurde nur ein Mädchen einmal geschlagen – Barbara (Basia). Als auf einmal der Schulleiter in unserer Klasse kam, stand Barbara nicht so schnell auf, wie die anderen Kinder. Der Schulleiter sagte zu ihr, sie sollte in die Mitte des Raums gehen und ohrfeigte sie. Basia ist auf den Boden gefallen und ihre Nase fing an zu bluten. Ihr Kopf schwoll an und wir hatten alle furchtbare Angst, bis der Schulleiter uns sagte, wir durften wieder Platz nehmen. Sogar Frau Orlowska musste zur Seite schauen, es war auch für sie zu viel. Als der Schulleiter endlich ging, sind wir alle zu Barbara gegangen, um ihr zu helfen. Solche Taten waren in anderen Klassen aber ganz normal. Geschlagen zu werden von den eigenen Lehrern, gehörte zur Tagesordnung.
In der Schule durften wir nicht auf polnisch sprechen oder denken.
Ab und zu mal kam der Schulleiter in unsere Klasse und nahm ein paar Mädchen mit sich mit. Seine Frau und er wohnten in einem sehr schönen Haus, auf der Bednarska Straße (in der Nähe von dem Park Venice, wo der Schulleiter später, nach dem Krieg, erschossen wurde). Vor dem Krieg lebten dort polnische Lehrer. Bei ihm zu Hause mussten wir sein Haus sauber machen: Fenster putzen, Wäsche waschen usw. Zum Glück war seine Frau nicht böse, sie versuchte, uns passende Aufgaben zu erteilen, je nach körperlicher Verfassung.
Das letzte Mal, dass ich in die Schule ging, war als die alliierten Bomben über Lodz fielen, aber die Schule fiel aus. Die Deutschen verließen die Stadt ganz schnell. Nach dem Krieg wollte ich mit der abscheulichen Sprache nicht mehr zu tun haben. Jetzt bereue ich es ein wenig.
An diesem Tag, am Ende Januar 1945, veränderte sich etwas. Es war eine scheinbare Freiheit. Aber ich merkte, dass bald etwas passieren würde. Man konnte die Artillerie im Hintergrund hören. Ich ging rasch in die Schule, da ich Angst hatte zu fehlen, ohne krank geschrieben zu sein. Das hätte ja schlimme Folgen gehabt. Aber es gab kein Unterricht. Papa ging nicht arbeiten und Mama spürte, dass sich die Zukunft gerade änderte. Sie fing an zu packen und Essen vorzubereiten.
Als alles wieder ruhig war, gingen wir nach Hause. Im gleichen Jahr ging ich wieder in die Schule, aber es waren harte Zeiten. Die Schulen waren nicht richtig eingerichtet, es fehlten Lehrer. Sie waren während des Krieges umgekommen: in Ghettos, Konzentrationslager oder sie waren verhungerten. Es gab keine Bücher, Hefte, nichts. Die Kinder, die schneller waren, gingen direkt in die höheren Klassen. Ich ging erstmals in die 4. Klasse in der Schule auf der Grabowa Straße und innerhalb eines Jahres hatte ich die 4. und 5. Klasse durch. Ich hatte Glück, es war eine gute Schule, und als ich in der 7. Klasse die Schule wechseln musste (auf der Skierniewicka Straße) war es extrem langweilig. Wir hatten ja viel gelernt in der anderen Schule, so dass ich nun in die 8. Klasse musste. 1948 beendete ich meine Schulbildung.
Nach dem Tod meines Vaters hatten wir schwierige Zeiten. Ich war noch in der Schule und meine Mutter war Alleinverdienerin. Wir mussten jeden Pfennig zählen, aber 1950 habe ich noch einen Schulabschluss erhalten. Ich denke oft an diese alten Zeiten und manchmal denke ich, wie mein Leben wohl gewesen wäre, hätte der Krieg nie stattgefunden…