lAlexander III -> Alexander II
Und hier ist der zweite Teil von Elsa Gregels Familiengeschichte. Viel Spaß beim Lesen!
CHRONIK ODER GESCHICHTE DER FAMILIE „HEINRICH MAY“, UNSERER GESCHICHTE
Auf vielfaches wünschen, meiner Enkelin Renate, eine Geschichte unserer Familie zu schreiben, möchte ich es mal versuchen. Schriftliche Aufzeichnungen sind nicht vorhanden, sondern nur mündliche Überlieferungen, von Generation zu Generation, durch über zwei Jahrzehnte und mehr.
I. Teil – RUSSLAND
Unter der Regierung der Kaiserin Katharina II wurden Aufrufe erlassen an die Bauern in Süd Russland, sich in dem vor kurzem von der Türkei eroberten Gebiet der Ukraine anzusiedeln. Die Aussichten waren verlockend und folgende: Geschenk von Hofplatz und 60 Hektar Land, frei von jeglicher Steuer, und für die jungen Männer keine Militärpflicht.
Es bildeten sich auch bald Gruppen, die sogenannten „Schwabenzüge“ bereit, eine neue Heimat zu suchen. Einer von diesen Gruppen schloss sich unsere Ur-Ahne, die Witwe May mit Familie an, nachdem sie ihren Besitz, wie Mühle usw. verkauft hatte.
Die Gruppen zogen nach Konfessionen getrennt. Die Katholiken mehr nach der Wolga, die Evangelisten nach der Ukraine. Unsere Ahne und wohl noch andere Gruppen siedelten sich im Gebiet der heutigen Provinz „Ekaterineslaw“ an. So genannt zur Ehre der Zarin, wie sie später ja auch als „Katharina die Große“ in die Geschichte einging.
Wenig ist uns bekannt, aber die Entwicklung muss wohl eine gute gewesen sein, denn zu meiner Kindheit, um die Wende des Jahrhunderts 19 zu 20 gab es bereits in dem Gebiet 80 Dörfer. Das Gebiet nannte sich nach dem Namen des Flusses, „Molotschna“ wie auch anderswo, Dnjeper, Don, Wolga.
Da der älteste Sohn den ganzen Hof und so weiter erbte, um nicht zu zerstückeln, musste er eventuell Schwestern ein Erbteil auszahlen wenn sie heiraten. Für weitere Söhne, soweit sie nicht studierten oder ein Handwerk erlernten, musste Land besorgt werden.
Hier setzt die Geschichte unserer Familie mit mehr „Wissenswertem“ ein. Das Dorf „Marienfeld“ wurde gegründet. Zu den Gründern gehörte unser Großvater Heinrich May. Es war das Jahr 1858 und 1867 wurde unser Vater dort geboren wie auch wir alle „Unsere Heimat“. Es bestanden bereits die Dörfer „Kaisertal“ „Eugenfeld“ und „Darmstadt“. Das schönste von allen war Darmstadt. Die Gegend hieß nach dem Namen Flüsschens „Tatschenak“.
Zuerst wurde Schafzucht getrieben. So wie das Land besät wurde, verringerte sich der Bestand der Schafe und zu meiner Kindheit gab es nur Viehherden und unabsehbare Weizenfelder. Das Land der schwarzen Erde war zur Kornkammer von ganz Europa geworden. In unserer Nähe gab es auch zwei Tschechen und zwei Bulgaren-Dörfer. Zum Schluss kam Alexanderfeld.
Mit der Ausweitung der Besiedlung nach Süden zum schwarzen Meer, zogen sich die Nomaden wieder in ihre Ur-Länder zurück. Gallmücken, Mamelucken, Bachskiren, Tungusen, hinter den Ural. Tscherkessen in den Kaukasus. Tataren, die Mehrzahl, in die Krim, ihr eigentlicher Sitz. Zwischen Festland und Krim lag ein flacher Salzsee, Siwasch. Darüber wurde für die Zufuhr ein hoher breiter Erdwall geschüttet, über den auch die Bahn fährt, von Petersburg bis Sewastopol Nord-Süd.
Marienfeld wurde 1858 gegründet an der Poststraße Melitopol-Cherson von Osten nach Westen. Die Straße des Dorfes verlief von Süden nach Norden, in der Mitte getrennt durch eine schmale Querstraße. An einer Seite lag die Schule und der Friedhof. An der anderen Seite wohnte der Gemeinde-Diener. Jedes Gebäude hatte seinen Platz und Stil, verschieden nur in Größe und Schmuck, das war Sache des Geldbeutels.
Die ersten Häuser mit dem wurden alle im Mittelhof gebaut, quer und aus Lehmziegel, die sich die Leute selbst machten. Mit dem Fortschritt kamen dann an der Front zur Straße die großen und stabilen Häuser. Viel Obst und Schattenbäume, so dass jedes Dorf aus der Ferne aussah wie eine grüne Insel in der großen Steppe. Am Ende der Straße waren kleine Anwesen für Handwerker wie: Schmied, Tischler, Hirte, usw.
Vor Anfang der Sonne knallte der Hirte mit seine 3-4 meter langen Peitsche. Darauf wurde das Vieh auf die Straße getrieben wo es sich sammelte und von dem Hirten auf die Weiden getrieben zu werden, bis zum Abend. Abends um 10 Uhr blies der Gemeinde-Diener, Vater Hardwig, sein Horn als Ruf zum schlafen gehen: Er lautet Ta-ta-ra-ta-ta-tata-tata-ra-tata! Zwischen Peitschenknall und Hornschall lag der Tag und der hatte seine Plag wie jeder andere Tag auch.
So kam das Jahr 1908 heran und Marienfeld feierte sein 50jähriges bestehen. Es wurde in der geschmückten Schule gefeiert und wir 15jährige Jungens und Mädchen durften teilnehmen. Es verlief normal, erst einige Reden, immer mit dem Blick für die gedeckten Tische , zu den „Zakuskis“, dann gut Essen und noch besser trinken. Jeder bekam ein Dokument über die Treue-Erklärungen an den Zaren sowie Provinz-Beamten und die Antworten darauf für beiden.
Im Jahre 1978 habe ich es gefunden und ins deutsche übersetzt. Es ist bei Onkel Gustav. Aber wo viel Licht, ist auch Schatten. Mit zunehmenden Wohlstand wurde auch der Neid, ja Hass der Russen immer größer und es kam oft zu bösem Streit, viel auch wegen dem mangelhaften russisch der Ansiedler. Außerdem waren die Russen als gewisse Sklaven weit hinter den anderen Ansiedlern zurück.
Da muss ich etwas einfügen – Mitte 1860 hob der Zar Alexander III die Leibeigenschaft der Bauern auf, gegen den Willen der Fürsten. Um sie zu beruhigen nahm er auch den Deutschen ihre Rechte. Sie mussten von nun an Steuer zahlen und Militärdienst leisten. Er ging in die Geschichte ein als „Zar der Befreier“, musste es aber mit seinem Leben bezahlen. Die Fürsten ermordeten den Zaren. Das gab Ärger, aber das Leben ging weiter und inzwischen waren wir vom 19. ins 20. Jahrhundert übergegangen.
Die Agrarschule Eugenfeld wurde 1909 gegründet. Unter den ersten Schülern war Heinrich May (unten in der Mitte). Otto May hat diese Schule auch besucht, sowie, Otto und Adolf Lebtag (Söhne von Johann Lebtag-Elisabeth Husser und noch andere Verwandte). Otto Lebtag war später Historiker, half Dr. Stump bei den Korrekturen seiner Büchern und Einwanderungslisten.
1912 sind die May’s mit allen Kindern von Russland nach Deutschland ausgewandert.
Die ersten 15 Jahre waren für mich jungen Menschen sehr, sehr ereignisreich. 1900/1901 der Burenkrieg in Süd-Afrika, die Geburt eines Mädchens (Natine 1904) zur großen Freude der ganzen Familie, der Krieg gegen Japan, die Revolution 1905 in Petersburg, der Aufstand der Flotte unter Admiral v.Schmidt im schwarzen Meer, der Hausbau, das 50jähriges bestehen von Marienfeld, das erscheinen des Halley-Kometen, das ich genau beobachten konnte, mein kurzer Studien-Aufenthalt in Deutschland, der Bau der Windmühle, die Vater von einem Schuldner bekam, weil er nicht zahlen konnte, der Untergang der Titanic, meine Lehrertätigkeit in der Krim. Später (Oktober 1912) Verkauf und Rückwanderung nach Deutschland und 1914 der Ausbruch des ersten Weltkrieges.
Damit wäre das Kapitel Russland geschlossen, wenn auch Rückblicke im Verlauf dieser Geschichte gemacht werden könnten. Mehr schreiben nicht, aber bekannte Episoden erzählen, ja!
Russland ade!
II TEIL DEUTSCHLAND
Nun waren wir daheim, aber nicht in unser Ur-Heimat „Baden“, sondern in Ostpreußen, einen Landstrich der einst zu Polen gehörte. Wir kauften uns in der Nähe der Stadt Lötzen ein Restgut und ein neues Leben begann.
Für uns Jungen leicht, für die Eltern schwer. Vater wegen der Steuer und vielen Arbeitsverträgen und Mutter wegen des Haushaltes. Es war nicht alles vorhanden wie in Russland, aber dafür auch leichter zu erreichen. Dauernd mit der Brieftasche in der Hand! Schimpfte unsere Mutter. Jedoch es ging uns gut, aber nach zwei Jahren kam der Krieg.
Anfang 1915 wurde ich eingezogen und Ende des Jahres Otto. Nun stand Vater allein da mit allen Problemen. Wir kamen beide an die Ostfront, wohl auch wegen den Sprachkenntnisse und das wurde interessant. Wir kamen dadurch in unsere alten Heimat. Ich kam an die Düna, ein Fluss im Baltikum. Bei meinem ersten Urlaub wurde ich telegraphisch abberufen. „Sofort zurück“ So, sagte ich mir, ab nach der Westfront. Damals stand die Hölle im Westen, im zweiten Weltkrieg im Osten.
Aber als wir unsere Fahrt nach Südosten antraten war ich doch froh. Die Fahrt dauerte elf Tage, durch Deutschland, die Tschechei, Österreich, Ungarn, Serbien bis Bulgarien. An der Donau die Bulgarien und Rumänien scheidet, schlugen wir unser Lager auf, in der Stadt Swistowo. Als nach einiger Zeit die Deutsch-Österreich- Ungarischen Truppen von Westen angriffen, an den „Pässen“ Roterturm, Prendel usw. setzten wir über die Donau und unser Marsch durch Rumänien begann. Erst in der Nähe der russischen Grenze gab es endlich Ruhe.In einer schönen Gegend von Weinbergen umgeben, verlebten wir ruhige Tage, nur unterbrochen durch den Kaiserbesuch im Susitathal.
Eines Tages kam der Befehl zum Einmarsch nach Russland als Besatzung. Von der Grenzstadt Renzi zogen wir nach Norden gen Odessa und kamen an den Trajanswall, der wurde von dem Römischen Kaiser vor über 2000 Jahren errichtet gegen die aus Asien einfallenden Horden und lief vom schwarzen Meer durch die Provinz Besarabien bist zu den Karpaten-bergen 300 km lang. Ein historisches Wunder!
Weiter ging es bis an den Fluss Dnjeper, dann nach rechts auf die Krim zu. Ich dachte wir kämen in meiner alten Heimat und war enttäuscht. Als ich darüber mit dem Adjutanten sprach, bekam ich Urlaub und konnte zu Verwandten und Freunden. Es war ein ergreifendes Ereignis! Alle habe ich gesprochen, auch meinen ehemaligen Lehrer. Uns kamen die Tränen!. Ich war bei der Familie Schatz, die unser Haus gekauft hatten, bei allen Nachbarn und Verwandten in Darmstadt und bei Tante Margarete, die als Witwe in dem ehemaligen Menonnittendorf Hutterthal wohnte. Nach einer Woche kam ich beladen mit Paketen wieder Heim, nach Sinferopol. Essen, trinken, erzählen…Fährt man über den Schwasch, so sieht man auf beiden Seiten nur die hellen Salzhügel, kein Leben, weder Fisch noch Vogel. Ein totes Meer.
Auf der Krim angekommen befindet man sich in einer anderen Welt. Von Landluft zur Seeluft, Tataren nahmen wie hier die Indianer-Namen an. Es ist ein schönes und interessantes Stückchen Erde, das zum Forschen einladet. Waren doch schon die Phönizier vor über 2000 Jahren hier, dann die Griechen, daher die vielen Namen mit Pol, Melitopol, Sinferopol, Sewastopol, usw. Und überall Deutsche. In einer Parkähnlichen Vorstadt gab es ein Sanatorium. Die beiden Besitzer waren die Ärzte Dr. von Gassurik und Dr…………
In diesem Sanatorium lag unsere Mutter einige Wochen, anfangs des Jahrhunderts wegen Lungenentzündung. Auf der Straße lernte ich zufällig den Herrn Falz-Fein (ein entfernter Verwandter von uns) kennen und sprach mit ihm einige Worte. Aber Tier war zu groß und hatte keine Zeit. Auf einem Gut lernte ich den Verwalter kennen. Der Besitzer war ein Gardeoffizier und Tscherkesse (Mufti-Sade), der andere Deutscher, mit Namen Gellert. Er kannte uns alle. So ging es noch lange, lange.
Nun etwas Geschichte: In der Nähe von Sinferopol befand sich ein sogenannter historischer Hügel auf dem sich das russische Kommando befand in den zwei Kriegen gegen die Türkei, 1854 und 1875. Die Türken konnten ihr verlorenes Land nicht verschmerzen. Unterhalb des Hügels verlief ein Halbkreis, ein Schützengraben, in ihm lagen Soldatenpuppen mit dem Gewehr im Arm. Vor dem Graben waren Gemälde aufgehängt, die das Schlachtfeld darstellten. Sie reichten bis hinauf zum Dach, ungefähr 3-4 m hoch. Der erste Eindruck war so verblüffend, dass man meinte man wäre auf dem Schlachtfeld in Wirklichkeit.
Einer der fünf Maler von diesem Gemälde verlor sein Leben in dem russisch-japanischem Kriege 1905, als er auf dem Flaggschiff den Admiral begleitete . Das Schiff sowie die ganze russische Flotte wurde versenkt.
60 km südlich von Sinferopol an einer sehr guten Straße liegt der Besitz des Tataren „Khan“ (Prinzen), innerhalb des Ortes . Es ist ein weitläufiges Haus mit einer eingezäunte Terrasse. Da spielt sich in der warmen Zeit des Jahres das ganze Leben ab. Auch schlafen, des Tataren Bett ist der Teppich, den nimmt er und geht auf die Terrasse schlafen. Da sah ich auch das Zimmer und Bett, in dem die Zarin Katharina II schlief als sie den Khan besuchte.
Die Straßen sind nur schmale Durchgänge, denn der Verkehr wickelt sich außen herum, um die Stadt, bis zur Karawanseray ab. Frauen sieht man nicht, viel Buden für Tschepureki (empanadas) und Schaschlik (Spielbraten in kleinen Fleischstückchen). Etwas für die hungrigen Soldaten. Das ist Baktschissaray. Weiter südlich an einem hohen und zerklüfteten Ufer liegt die Festung Sewastopol. (Zutritt verboten). Von hier führte eine schöne Strandallee nach Osten, bewachsen mit Palmen unter denen Bänke standen.
An warmen Abend-hellen Nächten, in denen der Mond sein Silberband auf das dunkle Wasser des Meeres legte, waren alle Bänke besetzt von Schwärmern und Verliebten. Sie hatten Recht. Hoffentlich ist es auch heute noch so, denn der Mensch kann aus einem Paradies eine Hölle machen.
Weiter nach Osten kamen die Berge deren Südabhang mit Weinreben bepflanzt war und das deutsche Dorf „Suddak“ gehörte. Es waren „Elsässer“ Weinbauern.
Jedes Jahr zur Ernte kamen die Franzosen und kauften die ganze Ernte, da sich die Trauben ganz besonders eigneten für Champagner. Franzosen kauften auch die ganze Rosenernte von Bulgarien auf, für die Parfüm-Industrie.
Weiter nach Osten kam der Kaukasus. In Sinferopol verlief das Leben ruhig, bis eines Tages der Befehl kam: „Abmarsch nach Sewastopol, wir werden verladen nach Bulgarien und kommen an die griechische Front“. Zu Ende waren die schönen Tage von der Krim! Wir marschierten nach Sewastopol und wurden auf das deutsche Schiff „Minna-Haru“ verladen.
Von da ging es nach „Varna“ in Bulgarien. Da war „Revolution“ und so mussten wir von dort nach „Constanza“ in Rumänien. Hier ging es vom Schiff auf den Zug und Richtung nach Nisch in Südslavien an die Front. Vor Nisch trafen wir schon auf Deutsche Truppen, die sich zurückzogen. Wir marschierten nun zusammen bis an die Donau wo wir bei dem Ort Tschorna-Woda dh. „Schwarzes Wasser“ über den Fluss gingen nach Ungarn. Da befanden sich schon feindliche Kommandos. Wir mussten alles abliefern, bis auf persönliche Waffen, wurden in den Zug gesetzt, und ab ging es in die Heimat.
In Oberschlesien an der Grenze wurden wir entlaust, bekamen unsere Entlassungs-Scheine und konnten nach Hause fahren. Nach 2 Tagen, spät Abends klopfte ich ans Fenster und meldete mich. Da war große Freude! Es war November, und Anfang Dezember kam auch Otto. So war zu den Feiertagen die ganze Familie beisammen. Auch bei Lebtags fehlte keiner. So endete das Unglücksjahr 1918.
Die Geschichte unserer Familie geht immer wieder mit Berichten, Fotos, Dokumenten oder Postkarten weiter. Wer noch etwas zu erzählen hat, melde sich bitte bei mir.
VIELEN DANK !
Elsa Gregel
Wir bedanken uns auch recht herzlich bei Frau Gregel für das Teilen ihrer Familiengeschichte. Wenn auch ihr uns ein wenig mehr über eure Ahnenforschung erzählen wollt, dann schreibt kurz eine E-Mail an germany@myheritage.com. Wir freuen uns drauf!
Anatolij Chayesh
31. Dezember 2014
Alexander III -> Akexander II