Heute im Blog erzählte Herr Geis, wie er auf den Spuren seiner Ahnen nach Königsberg gefahren ist. Bewaffnet mit einer deutschen Stadtkarte, einem Wörterbuch und mit Hilfe eines netten Taxifahrers, konnte er erfahren, was von dem deutschen Ostpreußen seiner Vorfahren übrig geblieben ist.
Viel Spaß beim Lesen!
Nachdem ich auf den Spuren der Vorfahren meines Vaters in der Gegend von Limburg an der Lahn gewandelt war, wollte ich auch Näheres über die ostpreußischen Vorfahren meiner Mutter wissen.
Die Großmutter, geborene Christukat, war in Danzig geboren. Von dort erfuhr mein Vater, der Vater unserer Oma habe Eduard Christukat geheißen und sei in Rodaunen im Kreis Darkehmen geboren. Als er in der Kirche von Kleßowen getauft wurde, hieß er allerdings Eduard Kriszukat und der Geburtsort war Raudohnen. Beim Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa hier in Oldenburg fand ich in einem Verzeichnis, dass Raudohnen nun Volkovo heißt und Kleßowen heißt Kutusowo. Eine neue polnische Karte zeigte, dass beide Orte im russischen Teil liegen.
Ausgerüstet mit den letzten genauen deutschen Karten fuhren meine Schwester und ich mit dem Omnibus einer Reisegesellschaft nach Königsberg. Das Hotel „Tourist“ war dann für einige Tage unser Heim. Ein Betonkasten mit winzigen Zimmern, der schon lange auf eine Erweiterung wartete, gelegen im früheren Villenviertel Königsbergs, am Oberteich. In der Umgebung standen die meisten Villen noch, bewohnt, aber in keinem guten Zustand, mit verwilderten Gärten. Das was vom Zentrum übrig war, hatten die Sowjets platt gewalzt und durch moderne Plattenbauten ersetzt, das Schloss war gesprengt und auf seinen Grundmauern einen Betonkoloss als Rätehaus gestellt, in das aber noch niemand eingezogen war, weil er sich ein wenig zur Seite geneigt hatte.
Ein kräftiger Kerl mit drei Kumpanen teilte uns Nikolai, einen pensionierten Marineoffizier mit seinem Lada als „Taxi“ zu. Nikolai war jünger als wir, ein lieber Kerl. Er konnte nicht viel Deutsch, aber mit Hilfe eines Wörterbuchs verstanden wir uns einigermaßen.
Nikolai fuhr uns zunächst nach Raudohnen=Volkovo. Über Tapiau und Insterburg führte uns der Weg zunächst in die Kreisstadt Darkehmen, heute Ozersk. Vergammelte eingeschossige Gebäude bei der Einfahrt deuteten auf Kolchosen-Landwirtschaft. Zum Zentrum hin fuhren wir an zwei- bis dreistöckigen Gebäuden vorbei. Schließlich kam ein riesiger asphaltierter Platz, auf dem Freund Lenin mit seiner rechten Hand den rechten Weg wies. Um ihn herum standen ein paar Häuser, die aus der Zeit um 1900 stammen konnten, dazwischen Plattenbauten und ein Kino in Bunkerarchitektur. Etwas abseits gammelte eine große Backsteinkirche vor sich hin, nachdem sie als Traktorenwerkstatt ausgedient hatte. Am Haus nebenan waren mehrere Farbschichten abgeblättert, darunter war in großen, schwarzen Buchstaben “Kaiserl.Post-Amt“ zum Vorschein gekommen. Die russische Post hatte es übernommen.
Nikolai fragte nach dem Weg nach Volkovo, niemand kannte den Ort. Wir fanden schließlich Raudohnen mit Hilfe der alten deutschen Karte. Kein Ortsschild, links der Straße eine leicht gewellte Landschaft mit abgeernteten Feldern, rechts der Straße nur die verhältnismäßig gut erhaltenen Mauern eines aus Feld- und Backsteinen gebauten Stalls. Im rechten Winkel dazu Mauerreste eines Gutshauses. Ein Haufen Steine, ein bisschen Mörtel unter Gestrüpp in der Nähe der Straße ist alles, was von den übrigen Häusern übrig ist, darunter der Kate, in der Eduard Kriszukat 1827 geboren wurde. In einem Nachbarort hatten sich 1990 zwanzig deutsche Familien aus Kirgisien niedergelassen.
Kleßowen, wo Eduard getauft worden war, war leichter zu finden. Es lag an der früheren Reichsstraße 137 und war der letzte Ort vor der heutigen polnischen Grenze. Von der Kirche ragte ein Stück Mauer von der einen Ecke aus dem Gestrüpp hervor, vom Rest der Grundmauern stand noch knapp ein Meter über der Umgebung. Eine alte Russin, die in dem wohnte, was vielleicht das Pfarrhaus war, erzählte, ja, damals seien die Leute wie verrückt gewesen, sie hätten alles kaputt geschlagen.
Nikolai begleitete uns einen Tag in Königsberg auf den Spuren der Familie Sohn, deren Tochter Charlotte der Eduard ja geheiratet hatte. Dem Kirchenbuch zufolge wohnte sie in der Borcherstr.7, 1829 wurde die Charlotte wohl dort geboren. Die Straße heißt heute Ulica Elblongskaja. Sie war geprägt von sozialistischen Plattenbauten, ein Supermarkt zog sich von der einen Ecke bis zur nächsten. Gegenüber, wo das Haus Nr.7 gestanden haben mag, lag ein von etwas Grün und und jüngeren Bäumen umstandenes niedriges Gebäude, vielleicht ein Kindergarten.
Auch die Stelle der Taufkirche, St.Trinitatis- oder Haberbergkirche, fanden wir. Der Turm und weitere Teile wurden nach dem Krieg abgebrochen, an ihrer Stelle stand nun das Kino „Oktober“, in das eine oder zwei Wände der Kirche eingebaut waren, aber von außen konnte man das nicht sehen. Um das Kino herum, da wo ganz früher der zur Kirche gehörende Friedhof lag, wuchsen Gras und ein paar Bäume.
Wir dachten, wenn wir Glück haben, finden wir vielleicht die Gräber der Sohns auf einem zur Gemeinde gehörenden Friedhof. Da wo der „Alte“ Friedhof der Haberberger Gemeinde lag, steht heute eine Schule. Von früherem Friedhof war nichts zu erkennen. Reichlich einen Kilometer vom alten befand sich der „Neue“ Friedhof. Da wir auf dem Stadtplan gesehen hatten, wo er gelegen hatte, konnten wir ihn in seinen Umrissen noch erkennen. Unter seinen hohen Bäumen und zwischen Resten von Ziersträuchern lag ein Vergnügungspark, dessen Grasfläche kreuz und quer von asphaltierten Wegen durchschnitten war. Ein Tanzboden war zu sehen, neben ihm eine einfache Schiffschaukel, und in der Nähe lagen die Reste eines Karussells. Einzig eine Büste von Jurij Gagarin, dem ersten Raumfahrer, gab dem Ort eine gewisse Würde. Keine Spur von Gräbern.
Eine Woche waren wir in Ostpreußen unterwegs, wir waren in den gut erhaltenen Königsberger Badeorten Crantz und Rauschen, wir waren auf der Kurischen Nehrung, wo wir die Vogelstation Rossitten besuchten, dort werden jetzt von russischen Vogelforschern die Zugvögel beringt. Wir waren in dem recht gut erhaltenen Tilsit, wir sahen die Memel. Wir besuchten die Ruine des Königsberger Doms mit dem Grab von Immanuel Kant. Es ist ein schönes Land mit lieben Menschen, aber es ist nicht mehr das deutsche Ostpreußen, es ist der zu Russland gehörende Oblast Kaliningrad.