Thüringer Geschichte: Lasterhafte Priester im Land der Heiden

Thüringer Geschichte: Lasterhafte Priester im Land der Heiden

Ein neues Handbuch dokumentiert die schriftliche Ersterwähnungen aller Orte Thüringens. Von den teils erbitterten Machtkämpfen, die gerade zurzeit der Herausbildung der Dörfer und Städte geführt wurden, erzählt es indes nicht.
Bad Langensalza. Sie huren, sie häufen Reichtümer an und sie lassen sich sogar Pferde schmecken. Es sind lasterhafte Zustände, auf die Bonifatius in Thüringen trifft. Um das Jahr 724/25 wird der Missionar hier aktiv. Immer wieder berichtet er in Briefen über vorgefundene Sitten. Es sind nicht allein Heiden, die ihn erzürnen, sondern vor allem viele jener Geistlichen, die es bereits zwischen Werra und Saale gibt. Er trifft auf Priester, die schlimmste Hurer und Ehebrecher sind. Manch Diakon habe vier oder fünf oder noch mehr Beischläferinnen im Bett.

Die Berichte des Bonifatius sind aus heutiger Sicht nicht allein ob solcher detailreichen Schilderungen von großem Interesse. Sofern sie Ortsangaben enthalten, geraten diese meist zugleich zur schriftlichen Ersterwähnung der Gemeinde. Erfurt etwa benennt der Missionar in einem Schreiben an den Papst. Der Brief ist zwar undatiert, lässt sich aber mit Gewissheit auf 742 bestimmen.

Loco, qui dicitur Erphesfurt, qui fuit iam olim urbs paganorum rusticorum, heißt es auf Lateinisch. Ein Ort, der Erphesfurt heißt, welcher Sitz heidnischer Bauern gewesen war.

Im jetzt vorgelegten Handbuch der Thüringer Ersterwähnungen findet sich diese Passage so nicht wieder. Stattdessen muss sich der Leser mit einer dürren Notiz begnügen: „Jan.-März 742 MGH Epp. sel. I 50“ heißt es da. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein Verweis auf die 1916 editierten Briefe des Bonifatius.

Das muss zunächst überraschen. Immerhin verheißt das Vorwort des Bandes, dass „sich in der Herausbildung namentlich ältester Siedlungen in Thüringen das Werden und Wachsen all unserer Gemeinden im mittelalterlichen Kräftespiel oftmals blutig erbitterter weltlicher wie kirchlicher Machtinteressen auch in kleinen Territorien wie Thüringen widerspiegelt“.

Dennoch wäre es vermessen, derartige Lektüre einem solchen Handbuch abzuverlangen. Schließlich listet es von Absang (Schiefergebirge) bis Zscheiplitz (Unstrut) sämtliche Orte auf, die im Mittelalter thüringisch waren. Allein dies Tabellarium füllt 380 der 490 Seiten. Die übrigen gehören einem ergänzenden Apparat: Literaturverweise, Quellentexte.

Genau dies ist der Wert des Bandes. Es gibt kein vergleichbares Werk, dass derart konsequent wie vollständig Abertausende von Quellen erschließt. Ob Wissenschaftler oder Geschichtsfreund beiden eröffnet das Handbuch den bestmöglichen Einstieg in Thüringer Ortsgeschichte. Die Geschichten in der Geschichte kann man später selbst recherchieren. Das ist das wahrhaft Schöne am nachfolgenden Lesen der authentischen Quellen.

Wolfgang Kahl: „Ersterwähnung Thüringer Städte und Dörfer“, Verlag Rockstuhl, 490 Seiten, 29,95 Euro

Quelle: Thüringer-Allgemeine.de Bild: Amazon