

Heute setzen wir unsere Geschichtsreihe fort und begrüßen sehr herzlich Herrn Hans-Peter Geis, der über die Siedler jenseits der Oder spricht.
Viel Spaß beim Lesen!
Mein Thema im letzten Blog war die deutsche Ostsiedlung zur Zeit Kaiser/König Ottos I.. Erst hatten germanische Stämme bis weit ins heutige Polen gesiedelt, doch die hatten fast alle das Land östlich der Elbe in Richtung Westen und Süden verlassen. In den leeren Raum waren seit etwa dem Jahr 500 verschiedene slawische Stämme eingewandert. Damit begnügen diese sich aber nicht, sie kommen immer wieder über die Elbe und versuchen, zwischen den ostfränkischen, was später deutsche Stämme sind, zu siedeln. Um sich dagegen zu wehren, hatte schon Karl der Große das Gebiet zwischen Oder und Elbe in „Grenzmarken“ eingeteilt, Otto sichert sie endgültig. Danach strömen deutsche Siedler ins Land.
Was für eine Bedeutung hat denn überhaupt das, was ich hier schreibe, für Ahnenforscher? Ich denke, ein richtiger Forscher ist nicht damit zufrieden nur zu erfahren, wann der Großvater geboren wurde und wo. Ihn interessiert doch auch, warum der vielleicht einen französischen Namen hatte und wieso der Ort in Sachsen, aus dem er stammt, Beiersdorf heißt, während Orte drumherum so fremd klingende Namen tragen wie etwa Eulowitz, Wuischke, Rachlau, Blösa. Das alles hat mit der Ostsiedlung zu tun.
Bis jetzt habe ich nur von den Siedlern berichtet, die sich diesseits der Oder nieder gelassen haben. An der Oder machen sie aber nicht Halt. So wohnen zu beiden Seiten der Odermündung die slawischen Pomeraner, die Bischof Otto von Bamberg für das Christentum gewinnt und bei denen er eine Reihe von Klöstern bauen lässt. Außerdem sollen deutsche Ritter für die Pommernherzöge Waffendienst leisten, wofür sie Land bekommen. Ritter und Klöster rufen anschließend deutsche Siedler, die von 1210 bis 1280 kommen, um der Wildnis fruchtbares Land abzugewinnen. Aus slawischen Burgen mit kleinen Siedlungen entwickeln sich Städte, darunter Stettin (heute Szczecin).
Nachdem der germanische Stamm der Markomannen Böhmen verlassen hat, siedeln dort Tschechen. Sie haben sich aber nur im Landesinneren auf den guten Böden nieder gelassen, nicht auf den bewaldeten Gebirgsrücken, die das Land umgeben. Deutsche Mönche roden diese Wälder seit 1142, zum Teil hat sie der böhmische König dazu eingeladen. Die Mönchsorden wieder locken Siedler aus den deutschsprachigen Nachbargebieten von Niederösterreich über Franken, Thüringen und Sachsen bis Schlesien an. Um 1220 gründet der Böhmenherrscher eine Reihe von Städten. Um deutsche Kaufleute anzulocken, gibt er ihnen Stadtrechte wie deutschen Städten. Sie kommen in so großer Zahl, dass man um 1330 in den Städten Böhmens und Mährens überwiegend deutsch spricht. Schon von Anfang an kommen auch Bergleute aus Sachsen, dem Harz und aus Tirol, um in Böhmen Erze abzubauen.
In den drei schlesischen Herzogtümern herrscht eine Nebenlinie der polnischen Königsfamilie. Obwohl sie formell noch zu Polen gehören, lehnen ihre Herzöge sich im Laufe der Zeit immer mehr an das Reich an, verheiraten sich mit dem deutschen Hochadel. Auch hier haben slawische Siedler sich ursprünglich nur die besten Böden gesichert. So gibt es auf beiden Seiten der oberen Oder noch riesige Urwälder, in denen kein Mensch wohnt. Kirche und Klöster erhalten dort große Landgeschenke. Sie und die Herzöge rufen Kolonisten. Diese kommen ab 1200 aus Niederdeutschland, Flandern, Wallonien, Franken, Thüringen und Obersachsen, um in Richtung Böhmen die Wälder zu roden. Ab 1250 roden Siedler aus südlicheren Teilen Deutschlands die Wälder auf der anderen Seite der Oder. Mehrere zehntausend Menschen kommen zusammen, so dass es ein deutsch-polnisches Mischland wird. Ein paar Marktorte, an denen die Neusiedler ihre Waren verkaufen oder tauschen können, gibt es bereits vor ihrer Ankunft. Dazu gehören Wroclaw (Breslau), Opole (Oppeln), später Bytom (Beuten), Sobotka (Zobten), Boleslawiec (Bunzlau), Krosno (Crossen), Legnica (Liegnitz), Raciborc (Ratibor). Und immer mehr kommen hinzu.
Weshalb rufen Könige, Herrscher, Klöster, Ritter so nach Siedlern? Ungenutztes Land bringt keine Einnahmen. Ob Wald, ob Sumpf, es muss urbar gemacht, gerodet werden. Zur Zeit der Ostsiedlung noch bis ins 19.Jahrhundert gab es keine Maschinen, die das taten, Menschen mussten das tun. Wenn das Land urbar gemacht ist, kann man Getreide anbauen, Kühe und Schweine halten und Gänse und Hühner. Was die Bauern nicht selbst brauchen, das können sie verkaufen und davon können die Grundeigentümer ihre Abgaben bekommen.
Es gibt auch keine klaren Grenzen im Urwald. Da können Fremde kommen von anderen Seiten und den Boden urbar machen und einem wegnehmen. Siedler, die das tun, werden ihn auch verteidigen. Davon haben vor allem die Landesherren einen Vorteil.
Mit der Pest 1348 endet der Strom deutscher (und niederländischer) Ostwanderer. Und während die deutschen Fürsten große Schwierigkeiten haben, sich auf einen König/Kaiser zu einigen, erstarken Polen und Litauen. Polnische Könige erobern die Ukraine bis zum Bug. In dem Land leben orthodoxe Christen. Um sie besser beherrschen zu können, siedeln sie römisch-katholische Siedler an, die ersten sind wieder Deutsche. Gleich jenseits der früheren ukrainischen Grenze entstehen die deutschen Städte Krosno und Landshut (Lancut) mit umliegenden deutschen Dörfern. Eine letzte größere deutsche Stadt ist Sambor (bei Lemberg). Die letzten deutschen Bauern lassen sich um 1400 in deutschen Dörfern bei Lemberg nieder. So eng wie die deutschen hier mit ihren polnischen Nachbarn zusammen leben, geben sie ihre eigene Sprache auf und gehen zum Polnischen über.
Die Ostsiedlung ist damit beendet. Nur von Ostpreußen und von Siebenbürgen haben wir noch nichts gehört. Ihnen widme ich den nächsten Blog.
Wer mehr über diese Wanderungen erfahren will, dem empfehle ich mein Buch. Ich habe immer noch ein paar Exemplare mit kleineren Druckfehlern, die ich weiter zum Preis von € 38 plus Porto anbiete.