„Schüsse in der Stille“ – die Jugend meines Urgroßvaters im Zweiten Weltkrieg

„Schüsse in der Stille“ – die Jugend meines Urgroßvaters im Zweiten Weltkrieg

Celina Keute (26) aus Henstedt-Ulzburg interviewte ihren Urgroßvater Hermann Kronemeyer (95) und schrieb ein Buch über seine Kriegserlebnisse. Entstanden ist ein Zeitzeugenbericht mit dem Titel »Schüsse in der Stille« über eine Jugend im Zweiten Weltkrieg.

Vor einigen Jahren begann ich damit, Ahnenforschung zu betreiben, um mehr über meine Vorfahren und die Herkunft meiner Familie zu erfahren. In diesem Zusammenhang interviewte ich auch meinen Urgroßvater, weil ich mich dafür interessierte, was er im Zweiten Weltkrieg erlebt hatte, aber nur wenige Geschichten von ihm aus dieser Zeit kannte. Bereitwillig erzählte er mir daraufhin offen und ehrlich von seinen Erfahrungen. Ich zeichnete das Gespräch auf und verschriftlichte es anschließend, wodurch sich neue Fragen ergaben, die ich ihm im Rahmen weiterer Interviews stellte. Irgendwann hatte ich so viele spannende Geschichten gehört, dass ich entschloss, ein Buch zu schreiben, um seine Erfahrungen auch für zukünftige Generationen festzuhalten. Mein Uropa freute sich darüber und nahm sich viel Zeit, um mir noch mehr zu erzählen, meine Fragen detailliert zu beantworten und mir das Thema »Krieg« anschaulich nahezubringen.

Eine Jugend im Krieg

Mein Urgroßvater Hermann Kronemeyer wurde 1927 geboren und wuchs in der Moorkolonie Bathorn nahe der deutsch-niederländischen Grenze auf. Er erlebte als Jugendlicher, wie sich das ehemals ruhige und friedliche Leben in der Grenzregion mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs veränderte. Nach dem Überfall der Wehrmacht auf die westlichen Nachbarländer Deutschlands wurden niederländische Freunde und Nachbarn zu Feinden und der tägliche Luftkrieg mit überfliegenden Bombergeschwadern, erbitterten Luftkämpfen und Flugzeugabstürzen prägte den Alltag der Menschen.

Celinas Urgroßvater Hermann

Celinas Urgroßvater Hermann

Fünfhundert Meter von seinem Elternhaus entfernt befand sich das Emslandlager Bathorn, in dem Kriegsgefangene aus aller Welt untergebracht waren, vor allem Sowjets und Franzosen, mit denen sich der aufgeschlossene Hermann regelmäßig austauschte. Seine Familie und er waren Gegner des NS-Regimes und nicht von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugt – oft hörte Hermann zusammen mit seinem Vater heimlich den britischen Radiosender BBC oder verweigerte mit seinen Freunden die Teilnahme am verpflichtenden Dienst der Hitlerjugend, woraufhin die Jugendlichen nach Osnabrück gebracht und von der SS eingeschüchtert wurden. Dennoch wurde mein Urgroßvater als Siebzehnjähriger gegen seinen Willen als Soldat eingezogen und in die Niederlande verlegt. Dort begegnete er den Menschen unversehens als Besatzer und musste in den letzten Kriegswochen mit seiner Einheit gegen die vorrückenden und weit überlegenen kanadischen Truppen kämpfen. Die meisten seiner Kameraden waren ebenfalls in seinem Alter. Es mangelte an Verpflegung, Schlaf und Kampfmoral, stattdessen herrschte ständige Lebensgefahr durch Partisanen, Tiefflieger und Flammpanzer. Mein Urgroßvater geriet schließlich in Kriegsgefangenschaft, die er unter menschenunwürdigen Bedingungen im britischen Lager Zedelgem in Belgien verbrachte.

Krieg ist von allem nur das Schlimmste

Zweieinhalb Jahre lang habe ich neben meinem Studium der Linguistik an dem Buch geschrieben und mich tief ins Thema eingearbeitet. Dabei habe ich intensiv recherchiert, um die Erinnerungen zu überprüfen und die Geschehnisse zu rekonstruieren, und war mit Historikern und Archivaren aus verschiedenen Ländern in Kontakt. Nach der Zusammenarbeit mit einer Lektorin und einer Korrektorin konnte ich »Schüsse in der Stille« im März 2022 schließlich veröffentlichen – kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, einem Konflikt, der erschreckende Parallelen zu den Erzählungen meines Urgroßvaters aufweist.

Das Buch über Hermann Kronemeyer thematisiert nicht nur das beschwerliche Leben in der ländlich geprägten Grenzregion, seinen Überlebenswillen als junger Soldat an der Westfront und die Nachkriegszeit unter britischer Besatzung, sondern auch seinen persönlichen Umgang mit den Erlebnissen. Heute ist er ein vielfach gefragter Zeitzeuge, der seine Erinnerungen in Vorträgen, vor Fernsehkameras und vor Schulklassen weitergibt und sich deutlich gegen jede Art von Krieg ausspricht. »Krieg ist kein Abenteuer und kein Vergnügen. Er ist von allem nur das Schlimmste«, sagte er mir einmal. Weiterhin pflegt er zahlreiche Kontakte ins Ausland und hat vielen Menschen geholfen, mehr über deren Angehörige in Erfahrung zu bringen, die in den Emslandlagern gewesen waren. Noch immer erfreut sich mein Urgroßvater bester Gesundheit und ist bestrebt, die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs lebendig zu halten. Zusammen haben wir bereits zwei Lesungen gegeben, bei denen wir gemeinsam auf der Bühne saßen und dem Publikum seine Erlebnisse nahe brachten.

Jeder Mensch hat Geschichten zu erzählen

Indem ich mich so ausführlich mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt habe, ist mir bewusst geworden, wie wertvoll unsere heutigen positiven Beziehungen zu anderen Ländern und Nationalitäten sind und wie wichtig es ist, sich an die Vergangenheit zu erinnern. Auch habe ich bei der Arbeit an dem Buch einen eindrücklichen Einblick in ein Menschenleben erhalten, ein Schicksal, das nur eines von vielen ist. Zahlreiche Menschen haben ihre Erlebnisse jedoch nicht weitergegeben, wie es mein Urgroßvater tut, dabei hat jeder Mensch Geschichten zu erzählen. Deshalb möchte ich dazu ermutigen, die Chance zu nutzen, nachzufragen und die Erzählungen aufzuschreiben, solange Zeitzeugen noch am Leben sind.

Wir danke Celina für dieses wundervolle Buch und für das Teilen der Geschichte Ihres Urgroßvaters. Weitere Informationen zum Buch finden Sie hier. Den Link zum Buchtrailer gibt es hier.