Geschichte: Deutsche Siedler in Südamerika und Australien

Geschichte: Deutsche Siedler in Südamerika und Australien

Heute haben wir für euch mal wieder einen Beitrag von Herrn Hans-Peter Geis. Wir möchten auch nicht viel mehr dazu sagen, sondern geben direkt Herrn Geis das Wort! 😉 Viel Spaß beim Lesen.

Seit meinem letzten Blog ist es schon eine Weile her, ich hoffe, ich habe eure Geduld nicht über Gebühr strapaziert. Aber immerhin konnten diejenigen, die es besonders eilig hatten, schon in meinem Buch „Bauer Bürger Arbeitsmann“ schon einmal „vor“-lesen.

In den bisherigen Blogs habe ich über die Wanderungen deutscher Siedler in den deutschen Osten, nach Siebenbürgen, nach Russland, auf den Balkan, in europäische Nachbarländer und schließlich nach Nordamerika berichtet. Jetzt kommt also mein letzter Blog. In ihm erzähle ich über zwei Gebiete, in die weit weniger Deutsche ausgewandert sind als in das große Auswan-derungsland Nordamerika, nämlich nach Südamerika und Australien.

In Richtung Südamerika – Brasilien, Argentinien, Chile – ziehen die Auswanderer schubweise, besonders nach den Hungerjahren 1816/17 und 1846/47. Die Werber dieser Länder machen in Deutschland große Versprechungen, aber im neuen Land werden die Siedler dann allein gelassen. In Brasilien kriegen sie ein Stück Urwald zugeteilt, das sie anschließend mit viel Mühe kultivieren. Nur wenige Neue kommen nach, denn es wird auch in Deutschland bekannt, wie mühsam das Leben draußen in der Einsamkeit ist, in einem Land mit fremder Sprache, mit ungewohntem Klima. Die die da bleiben, siedeln überwiegend in den beiden südlichsten Provinzen Sta.Catharina und Rio Grande do Sul. In Argentinien kriegen sie noch nicht einmal das versprochene Land zugeteilt, sie arbeiten hier als Kleinunternehmer und Handwerker.

Mein eigener Großvater wanderte 1895 nach Brasilien aus, nachdem er Pech mit seinem Geschäft in Gardelegen gehabt hatte. Erst reiste er acht Tage durch Deutschland, um von seinen Freunden Abschied zu nehmen, es war ihm also ernst mit der Auswanderung. Dann fuhr er von Hamburg aus mit dem deutschen Dampfer Arkadia nach Desterro, das auf der Ilha de Santa Catarina vor dem brasilianischen Teilstaat Santa Catarina liegt, also verhältnismäßig weit im Süden Brasiliens. (Desterro hatte allerdings 1893 seinen Namen bereits in Florianopolis geändert, davon schreibt mein Großvater aber nichts).

Einen Monat dauerte die Reise, unterwegs war es ab und zu stürmisch und mehrere von denen, die mit ihm reisten, wurden seekrank – er nicht, wie er in seinem Tagebuch schrieb. Als er von Bord ging und von Mitreisenden und Besatzung Abschied nahm, empfand er es als den endgültigen Abschied von Deutschland und seine Augen wurden feucht. In Desterro hatte er keinen schwierigen Anfang, er begann sofort für die Firma Emil Meyer zu arbeiten. In seiner Freizeit besuchte er den deutschen Club und einen deutschen Gesangverein.

Aber er blieb nicht, meine Mutter erzählte von ihm, er habe die Hitze nicht vertragen. Deshalb kehrte er zurück nach Deutschland. Ende 1897 oder Anfang 1898 muss das gewesen sein. Am 7.Juli 1900 heiratete er jedenfalls in Hildesheim meine Großmutter, und am 5.Januar 1902 wurde meine Mutter geboren.

Nach Chile wandern von 1840 bis 1914 20000 Deutsche und Österreicher ein, welche ausgehend von Valdivia den menschenleeren Süden kultivieren. Als Vorhut einer größeren Zahl von Siedlern treffen nach schwerer Fahrt um Kap Hoorn am 25.August 1846 mit dem Segler „Catalina“ neun Familien aus Rothenburg an der Fulda vor Valdivia ein. Bernard Eunom Philippi, ein preußischer Seeoffizier und Naturforscher, der die Gegend von Forschungsreisen her kannte, hatte sie zur Auswanderung veranlasst. Bis zum Ende des Jahrhunderts kommen etwa 5000 Einwanderer aus allen Teilen Deutschlands, auch protestantische Tiroler. Sie arbeiten in den verschiedensten Berufen, gründen Unternehmen. Seit 1852 erhalten sie in dem sumpfigen Urwald rund um den riesigen Llanquihue-See Parzellen von je 100 ha, die sie mit viel Mühe und mit Hilfe der einheimischen Mapuche-Indianer urbar machen. Sie lassen sich nicht schrecken von Erdbeben und Vulkanen wie dem Osorno, aus dem noch 1790, 1834-35 und 1850 glühende Lava hervorquillt. Landwirtschaft und Handwerk betreiben ihre Nachkommen auch heute.

Llanquihue-See in Chile

Llanquihue-See in Chile

Puerto Varas am Llanquihue-See, Städtchen der deutschen Siedler

Puerto Varas am Llanquihue-See, Städtchen der deutschen Siedler

Kirche der deutschen Siedler in Frutillar am Llanquihue-See

Kirche der deutschen Siedler in Frutillar am Llanquihue-See

Wohnzimmer-Einrichtung im Museum der deutschen „Kolonisten“ in Frutillar

Wohnzimmer-Einrichtung im Museum der deutschen „Kolonisten“ in Frutillar

Seit 1875 nehmen sie ebenfalls das Land zwischen dem Llanquihue-See und dem Pazifik unter den Pflug, unter anderem in Nueva Braunau, dem einzigen Ort, der heute einen deutschen Namen trägt. Die Verhältnisse dort erinnern noch heute teilweise an die deutschen Rittergüter im Baltikum. So thront die aus Schlesien stammende Familie Kuschel in ihrem imposanten Gutshaus (heute auch Hotel und Museum), hoch über ihrem Besitztum. Die einheimischen Landarbeiter dagegen wohnen in kleinen Häuschen unten an der Straße entlang. Selbst im Tod liegen Herrschaft und Diener auf dem Friedhof neben der Kuschelschen Kirche getrennt, jeder auf seiner Seite. Ich war selbst 1999 da und habe mir vieles angesehen, die Aufnahmen oben habe ich bei diesem Besuch gemacht.

Von 1883 bis 1886 siedeln sich 2600 landlose Schweizer 300 Kilometer nördlich des deutschen Siedlungsgebietes in einer ähnlichen Wildnis am Rio Biobio an.

Die ersten Deutschen in Australien sind unter den Strafgefangenen, die nach dort deportiert werden (seit 1714 sind die Kurfürsten von Hannover auch Könige von England). Wer, wie viele, wann – niemand weiß es. Später machen sich deutsche Wissenschaftler verdient um die Erforschung des Kontinents. Dann kommen deutsche Siedler, hierhin ein paar hundert, dorthin ein paar tausend. Die eine Provinz will sie haben, andere nicht. Auch Bergleute kommen, um die vielerlei Bodenschätze abzubauen. Einige tausend lassen sich in Neuseeland nieder. Sie ziehen viel hin und her, von Neuseeland nach Tasmanien, vom Süden Australiens in den Südosten. Sie gründen ihre Vereine, ihre Zeitungen, ihre Kirchen, aber sie assimilieren sich sehr schnell.

In 15 Blogs habe ich nun über die wanderfreudigen Deutschen berichtet. Ich habe versucht, ihr Leben in der Heimat und in fremden Ländern zu beschreiben, eine Geschichte also der kleinen Leute. Diese „Geschichte der kleinen Leute“, der Bauern, der Bürger, der Arbeitsleute, das war das Thema meiner Blogs wie es das Thema meines Buches ist – eine Geschichte, bei der nicht die verschiedenen Kaiser, Könige und Bismarcks im Mittelpunkt stehen, sondern „der gemeine Mann“, die vielen kleinen Leute, denen wir auch begegnen, wenn wir nach unseren Vorfahren suchen, das kann zum Beispiel unser eigener Großvater sein.

Wenn ich das „Geschichte“ nenne, denkt mancher vielleicht mit Grauen an Geschichtsunterricht in der Schule zurück, wo Jahreszahlen auswendig gelernt werden mussten und Orte, an denen Schlachten geschlagen wurden. Bei der Geschichte der kleinen Leute jedoch geht es um anderes: es ist die Erzählung ihres Lebens – wo sie gelebt haben, wie sie gelebt haben, wohin sie gewandert sind, ihr Zusammentreffen mit anderen Kulturen, ihre Nöte…. ein ungeheuer spannendes Thema.

Wen das alles interessiert, der findet mehr in meinem Buch (leider gibt es nicht viele Bücher, die sich diesem Thema widmen)

„Bauer Bürger Arbeitsmann. Geschichte der Menschen deutscher Sprache“

Im Verlag Pahl-Rugenstein Nachf., Breite Str.47, 53111 Bonn.

Es gibt auch eine Webseite www.bauer-buerger-arbeitsmann.de zur ersten Orientierung, da findet ihr ein Inhaltsverzeichnis und einen kurzen Abschnitt aus dem Buch.

Bemerkungen

Die E-Mail-Adresse wird privat gehalten und nicht angezeigt.

  • Reimar Häuselmann

    11. Januar 2014

    Ich danke Ihnen, Herr Hans-Peter Geis, für Ihren Mut und Ihre Offenheit uns Ihre Familiengeschichte zu erzählen.

    • S

      Silvia

      13. Januar 2014

      Hallo Reimar,

      haben Sie nicht auch Lust über Ihre Familiengeschichte zu berichten? Sie erhalten dafür ein Daten-Abo, das Ihnen eventuell noch weiter in Ihrer Forschung voranbringt. Bei Interesse senden Sie einfach kurz eine E-Mail an .

      Schöne Grüße
      Silvia

  • Remo

    13. Januar 2014

    Schade, ist das der letzte Teil. Aber alles Gute hat auch mal ein Ende. Ich werde die Berichte in guter Erinnerung behalten.

    Brasilien, Rio Grande do Sul wird mich auch noch ziemlich beschäftigen, wenn ich mir die Linien meines Urgrossvaters aus dem Veneto, Italien vertieft vornehme.

  • Elsa Gregel

    28. Januar 2015

    Der Bericht ist sehr interessant!Ich kann mir alles sehr gut vorstellen. Ich bin in Argentinien aufgewachsen und habe meine Verwandten in der „Kolonie“ in Santo Angelo ab und zu besucht.

    Meine Grosseltern sind 1922 mit der „Cap Polonio“ von Hamburg nach Buenos Aires ausgewandert. Haben einige Jahre in Coronel Suarez mit ihrer Familie gelebt. Freunde, die in Rio Grande do Sul hängen geblieben waren, haben sie dorthin gelotzt….sie schrieben: „Wenn du aus einem Fenster schaust…kannst Du Apfelsinen pflücken…aus einem anderen Fenster, siehst Du die Apfel oder Pflaumenplantagen wachsen….DAS IST DAS PARADIES!!!“
    Leider war alles nicht wahr, sie mussten den Urwald roden und sehr hart arbeiten. Zwei Brüder meiner Mutter hatten Tabakplantagen, der jüngste fabrizierte Ziegelsteine. Ich weiss noch, als meine Eltern und ich 1954 von Buenos Aires nach Santo Angelo geflogen sind, haben wir diese kleine Ziegelei besucht. Zwei Ochsen drehten sich im kreis und rührten den Lehm für die Steine an. Die armen…die habe ich sehr bedauert….

  • Elsa Gregel

    28. Januar 2015

    In Santo Angelo hat eine bekannte Familie ein Museum über die Kolonisten in Rio Grande do Sul, aufgebaut. Helmut Rosenthal,
    (er ist der Nachfahre von den Freunden die unseren Opa nach dort „überredet“ haben)…