Im Russischen wird das O dann wie ein A ausgesprochen, wenn es nicht betont ist. Falls Atrott also auf der zweiten Silbe betont wird, hätte die Ottrott-These etwas für sich.
Und hier der zweite Teil von Franz Peters Familiengeschichte. Viel Spaß beim Lesen!
„Wenden wir uns nun dem anderen Namenspaar des Quartetts zu: Pieck und Atrott, wobei ich mit dem Familiennamen Atrott beginnen will.
Dieser Name findet sich, auch heute noch, in zwei Varianten: Atrott und Attrot (daneben fand ich noch die seltenere Schreibweise Adrott). Im IGI von Familysearch wurden mir fast 100 Einträge der gesuchten Variante Atrott angezeigt – aber keiner davon aus Praßlauken, sondern aus Orten des Nachbarkreises (Göritten, Pillupönen und Mehlkehmen); diese Einträge stammen aus einem Zeitraum von ca. 1730 bis 1823. Demnach ist der Name Atrott zumindest seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts in der Region nachweisbar.
Schließlich ergab sich doch ein Volltreffer: Im Kirchenbuch Walterkehmen fand ich den Geburtseintrag der gesuchten Charlotte Atrott. Als Eltern waren angegeben: Johann Atrott und Charlotte Bartolain aus Praßlauken. Es hat nun leider den Anschein, dass die Quellen für Praßlauken und Walterkehmen für weiter zurückliegende Zeiten versiegt sind. Mit der Zeit ergaben sich Kontakte zu anderen Forschern, die ebenfalls diese Region bearbeiten und an dieser Stelle nicht entscheidend vorankommen. Von diesen Kontakten war einer besonders interessant. Der betreffende Kollege war bis zu einem Spitzenahn Heinrich Atrott in Praßlauken gekommen, der zu der entsprechenden Zeit dort gelebt hatte wie mein Johann Atrott. Waren diese beiden Brüder oder Vettern?
Dieser Forscherkollege hatte noch eine weitere Information ausfindig gemacht: Bis 1763 ist in Praßlauken der deutsche Einwanderer Adam Atrott mit einem Besitztum nachgewiesen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit stammen die Atrotts aus Praßlauken von diesem Einwanderer ab. Woher dieser Adam Atrott einwanderte, ist nicht überliefert, und somit ist seine Herkunft (noch) ungewiss. Es gibt aber die Vermutung, dass er aus Thüringen einwanderte und aus dem heute nicht mehr existierenden Ort Atterode stammte (Atterode wurde, wahrscheinlich im 30jährigen Krieg, vollständig verwüstet).
Aus dieser, zugegebenermaßen spärlichen, Datenlage ließe sich folgender geschichtlicher Ablauf konstruieren:
Nach der Zerstörung ihres Dorfs verließen die Einwohner, die sich nach ihrem Dorf nannten oder benannt wurden, die Gegend, um sich anderswo niederzulassen. Dabei könnten verschiedene Familien in unterschiedliche Regionen Ostpreußens gelangt sein, möglicherweise mit Zwischenstation in Brandenburg, was wohl nicht selten der Fall war. Der Name könnte nun je nach Siedlungsregion unterschiedliche Schreibweisen angenommen haben, eben Atrott, Attrot, Adrott etc.
Ob es sich tatsächlich so abgespielt hat? Das wird sich, wenn es sich denn überhaupt rekonstruieren lässt, nur über weitere Forschung ermitteln lassen. Möglich wäre es schon, denn in der betreffenden Zeit wurde Ostpreußen durch Siedler aus den unterschiedlichsten Regionen kolonisiert, die teilweise wohl auch in kleineren Verbänden, bis hin zu einzelnen Familien und Einzelpersonen, dorthin zogen. Immerhin ergibt diese Geschichte einen Ansatz für weitere Untersuchungen.
Bei der Ehefrau des Johann Atrott, Charlotte Bartolain, waren die Erkenntnisse hinsichtlich der Abstammung eindeutiger. Schon eine kurze Internetrecherche ergab den Hinweis, dass es sich bei dem Familiennamen Bartolain um einen Namen waldensischen Ursprungs handelte, der ursprünglich Bertulin gelautet habe. Zudem fand sich für den Wohnort Praßlauken der Familie Atrott/Bartolain die Bezeichnung „Waldenserdorf“. Wer oder was waren nun die Waldenser? Zwar hatte ich die Bezeichnung schon gehört, hatte aber keine genaue Vorstellung von der Bedeutung. Also hieß die Devise: herausfinden!
Als „Quintessenz“ der Nachforschung folgende, in vielen Teilen vereinfachte Kurzbeschreibung der komplexen Waldensergeschichte: Bei den Waldensern handelte es sich ursprünglich um Anhänger eines Mannes namens Petrus Valde. Dieser lebte um 1170 in Lyon und wurde dadurch bekannt, dass er dafür eintrat, dass der christliche Glaube sich allein auf die Evangelien beziehen sollte und dass alles später Interpretierte und Hinzugefügte keinerlei Relevanz habe. So liest man es in den meisten Darstellungen über den Ursprung der Waldenser. Verwundert hat mich dabei, dass hier ein „Familienname“ angegeben ist – zu einer Zeit, die etwas Derartiges noch nicht kannte. Kürzlich las ich nun in einer älteren Schrift, die sich auf Angaben von Waldensern beruft, eine andere Erklärung. Danach habe es die „Waldenser“ schon lange vor Petrus Valde gegeben, und der Namenszusatz „Valde“ beziehe sich auf die Zugehörigkeit des Petrus zu dieser Glaubensgemeinschaft, der man den möglicherweise geringschätzend gemeinten Begriff „Vaudois“ gegeben hatte (was „Wäldler“ oder „Zauberer“ bedeutet haben könnte). Wie auch immer: die religiöse Einstellung, die Petrus Valde und seine Anhänger predigend vertraten, forderte die kirchliche Obrigkeit heraus, insbesondere als Petrus offiziell beim Papst um Genehmigung seiner Predigttätigkeit ersuchte. Wie immer in all den Jahrhunderten, in denen die katholische Kirche besteht, wurden Meinungen, die nicht der offiziellen kirchlichen Linie folgten, nicht geduldet. Und so erfolgte prompt die päpstliche Anweisung, derlei abweichlerische Meinungen nicht weiter zu verkünden. Petrus Valde hielt sich jedoch nicht an diese Anweisung. Er fand schnell eine wachsende Schar von Anhängern, überall verstreut in Europa wurden waldensische Gemeinden gegründet und bestehende gestärkt, die Kirche sah die Stellung ihres Meinungsmonopols in Gefahr – und die Nachstellungen begannen. Die Waldenser um Petrus Valde zogen sich daraufhin zunächst in die Region Savoyen/Piemont zurück. Einige der waldensischen Glaubensenklaven haben sich übrigens bis heute gehalten, viele wurden aber gewalttätig eliminiert.
Auch in ihrem Rückzugsgebiet Savoyen/Piemont kamen die Waldenser in Bedrängnis, da sie zwischen machtpolitische Fronten gerieten, als Frankreich sich nach und nach die Herzogtümer der Region einverleibte. Da auch religiöse Verfolgungen wieder einsetzten, emigrierten Waldenser Richtung Norden, und so kam es zur Bildung von Waldensersiedlungen in den deutschen Ländern; einige dieser Waldenserdörfer existieren bis heute, wenn auch die waldensische Glaubensrichtung in Deutschland nicht mehr als eigenständige Religionsgemeinschaft existiert.
Die verbliebenen Waldenser sahen sich aufgrund immer stärker werdender Repressalien genötigt, ebenfalls auszuwandern. Ein Teil von ihnen gelangte, nach einigem Hin und Her, Vor und Zurück schließlich in den Norden der französischsprachigen Schweiz. Doch war die wirtschaftliche Not dort offensichtlich so groß, dass sie zu Beginn des 18. Jahrhunderts weiter Richtung Norden zogen, und mit ihnen zusammen anscheinend Teile der in diesen Regionen ansässigen Bevölkerung.
Die Wanderungswege dieser Kolonistengruppen nachzuvollziehen, scheint nicht ganz einfach zu sein, und es finden sich in der Literatur Angaben, die nicht recht zueinander passen wollen. Es ist jedoch durchaus plausibel anzunehmen, dass die Wege der Aussiedler, zumindest für einige der Gruppen, über die bestehenden Waldensersiedlungen wie Pinache und Perouse in Süddeutschland oder Dornholzhausen bei Bad Homburg führten.
Zu dieser Zeit, etwa 1709/1710 wurden in Ostpreußen ganze Landstriche durch eine verheerende Pestepidemie entvölkert, und es wurden durchaus Siedler benötigt – wenn auch die mittellosen „französischen Schweizer“ dabei nicht unbedingt willkommen waren. Dennoch schafften es wohl Hunderte von Siedlern nach Ostpreußen, womöglich teilweise über Umwege; so wird über ein Lager der Waldenser in Dänemark berichtet.
Einmal in Ostpreußen angekommen, wurde ihre Anwesenheit akzeptiert und es wurde ihnen Land zugewiesen; sie wurden wohl auch mit einer „Erstausstattung“ an Vieh und Material bedacht. So fanden mehrere Waldenserfamilien in Praßlauken eine neue Heimat, in einem Ort, in dem infolge der Pest die Hälfte der Höfe leer stand. Unter diesen Familien ist diejenige eines Philippe Bertulin belegt, der damit anscheinend zum Stammvater der Bartolains in Praßlauken wurde.
Die Vorfahren des Philippe Bertulin ließen sich anhand verschiedener Listen und Aufzeichnungen bis nach Savoyen zurückverfolgen. Auch für die nachfolgende Generation in Praßlauken finden sich Angaben. Für die Zeit zwischen 1730 und Anfang des 19. Jahrhunderts (Charlotte Bartolain dürfte ca. 1805 geboren sein) fehlen mir jedoch bisher jegliche Daten, sodass hier eine Lücke von 1 bis 2 Generationen besteht – die es noch zu füllen gilt!
Kommen wir nun zum letzten der vier Familiennamen: Pieck. Lässt sich auch bei diesem Namen etwas über die Herkunft finden?
Sieht man sich die heutige Verteilung der Träger dieses Namens an, so fällt sofort auf, dass es hier – anders als bei den anderen Namen – eine geographische Konzentration gibt. Die meisten Träger dieses Namens, und das gilt auch für die ähnliche Schreibweise „Pick“, leben im Rheinland; zudem tritt dieser Name noch häufig in den Niederlanden und im flämischen Teil Belgiens auf. Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass der Name ursprünglich aus dieser Region stammt. Dazu passend finden sich in der Literatur Angaben, dass es bei den frühen Siedlern in Ostpreußen starke Gruppen aus dem Rheinland gab!
Eine weitere Möglichkeit besteht in einem Ursprung in der französischsprachigen Schweiz. Man findet den Namen in den Listen der „französischen“ Schweizer, als eine Veränderung aus dem Namen Pi/Pic, der zu Piek/Pieck mutiert sein soll, möglicherweise als Angleichung an den schon in Ostpreußen vorkommenden Namen. Allerdings fehlen mir für diese Interpretation noch eindeutige Belege.
Die Linie Pieck lässt sich von Johann Friedrich Pieck über Matthes/Matthaes Pieck (*1805), Johann Pieck (*1766) bis zu Johann Pieck (* ca. 1730, ? 1805) zurückverfolgen. Bei dieser Zuordnung erhielt ich tatkräftige Unterstützung von einer Forscherkollegin (über Johann Pieck mit mir verwandt), die sich schon intensiv mit der Familie Pieck beschäftigt und die Verbindung von Matthes Pieck bis zum älteren Johann Pieck aufgespürt hatte.
Der Spitzenahn in dieser Reihe, Johann Pieck, heiratete um 1762 Anna Barbara Laser. Der Name Laser wird in den Listen deutscher Siedler genannt; es gibt aber auch einen Hinweis auf einen Ursprung in der Schweiz – hier ist noch Spürarbeit vonnöten! Die heutige räumliche Verteilung des Namens ergibt ein uneinheitliches Bild, interessanterweise auch mit einem Schwerpunkt im Rheinland.
Matthes Pieck war mit Maria Kohlekker verheiratet. Der Geburtsname der Maria deutet auf eine Abstammung von Salzburger Einwanderern hin, und tatsächlich lässt sich die Abstammung von diesen Einwanderern belegen. Wie aber kamen die Salzburger nach Ostpreußen? Ich hatte mich vorher mit dieser Frage nie befasst, und wie schon bei den Waldensern führte mich die Beschäftigung mit dem Ursprung tief in die Geschichte Europas hinein.
Anfang des 18. Jahrhunderts gab es im Fürsterzbistum Salzburg, insbesondere in der Landbevölkerung, einen nicht unbedeutenden Teil, der sich zwar katholisch taufen und trauen ließ, aber heimlich den Ideen der Reformation anhing. Dies konnten sie allerdings nicht öffentlich kundtun, da ihnen ansonsten Repressalien drohten; reformatorische Ideen waren im Land Salzburg nicht geduldet. Diese Menschen besaßen als kostbarstes Gut Bibeln, die sie gut versteckt hielten und aus denen sie bei heimlichen Treffen sich gegenseitig vorlasen. Es mag heute erstaunen, dass der Besitz und das Lesen des Evangeliums etwas Ungesetzliches sein kann, aber man muss hierzu wissen, dass die katholische Kirche den Menschen nur das gestattete zu glauben, was sie ihnen offiziell verkündete – und das waren oft haarsträubende Dinge, die mit dem ursprünglichen christlichen Glauben nichts zu tun hatten (man sieht, dass sich seit den Zeiten des Petrus Valde in der Kirche nichts geändert hatte).
Fürstbischof Firmian, der das Land Salzburg ab 1729 regierte, wollte dem Ansehen der Kirche wieder zu mehr Geltung verhelfen und schickte jesuitische Prediger durch das Land. Diese Jesuiten fanden durch allerlei Tricks und Kniffe bald heraus, dass das Land von „Bibellesern“ durchsetzt war. Nachdem ihre Gesinnung aufgedeckt war, baten die Reformierten nun offiziell, man möge ihnen erlauben, das Evangelium zu lesen, und man möge ihnen Prediger gestatten, ansonsten aber wollten sie rechtschaffene Untertanen bleiben. Das wollte Firmian allerdings nicht zulassen, zudem argumentierte er, dass die nach dem Westfälischen Frieden und dem Augsburger Religionsfrieden den Minderheiten zustehenden Rechte für Salzburg keine Geltung hätten. Nachdem Repressalien gegen die Wortführer der Reformierten nichts nutzten und sich auch keine Revolte provozieren ließ, die ein härteres Durchgreifen hätte rechtfertigen können, entschloss sich Firmian, die Betreffenden kurzfristig aus seinem Land auszuweisen. Der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte sich für die Reformierten eingesetzt und erklärte sich bereit, den Ausgewiesenen Land in Ostpreußen zuzuweisen, entsprechend seiner „Repeuplierungspolitik“ für die von der Pest heimgesuchten Landesteile Ostpreußens.
So wurden ca. 20 000 Personen im Laufe des Jahres 1732 aus dem Salzburger Land vertrieben, wobei es teilweise wohl recht ruppig zuging, wie zeitgenössische Berichte wiedergeben. Die Hofbesitzer mussten ihr Hab und Gut unter Zeitdruck und damit weit unter Wert verkaufen, erhielten aber einige Jahre später noch Entschädigungszahlungen aus Salzburg. Mit den Salzburgern wurden auch Reformierte aus der Fürstpropstei Berchtesgaden vertrieben. Es wird angegeben, dass in Ostpreußen schließlich etwa 17 000 Personen ankamen, und zwar in verschiedenen Trecks, die unterschiedliche Routen nahmen. Einige der Vertriebenen gelangten auch in andere Staaten, u.a. in die USA, aber der Großteil ging nach Ostpreußen.
Auf ihrem Weg durch die verschiedenen deutschen Länder wurden die Salzburger Exulanten zumeist freundlich begrüßt und bewirtet. Lediglich einige wenige katholische Gemeinden waren den Vorbeiziehenden feindlich gesinnt, wobei in der Regel die örtlichen Pfarrer einen entsprechenden Einfluss genommen hatten.
Was waren das nun für Menschen, die in so großer Zahl lieber die Entbehrungen einer derartig langen und beschwerlichen Reise auf sich nahmen, als dass sie sich der bischöflichen und päpstlichen Anordnung beugten, mit dem Bibellesen aufzuhören? Das Lesen der Berichte über diese Völkerwanderung hat mich doch sehr berührt, muss ich eingestehen. Diese Menschen hatten eine „urchristliche“ Auffassung und ein unerschütterliches Gottvertrauen. Gewalt war ihnen verhasst, und auch in schlimmster körperlicher und seelischer Bedrängnis leisteten sie keine Gegenwehr. Was ihnen auch an Schlimmem in ihrem Heimatland oder auf ihrem Zug nach Ostpreußen widerfuhr, sie haderten nicht mit ihrem Schicksal, blieben freundlich und ohne Hass gegen jedweden und sehnten sich nur nach einem: dass sie ungestört und ungestraft die Evangelien lesen konnten und dass ihnen dabei Anleitung und Unterstützung von Predigern zuteil wurde. Dafür nahmen sie alle Strapazen auf sich und blieben heiteren Sinnes und frohen Mutes.
Auf den Trecks der Salzburger Exulanten nahm das normale Leben seinen Fortgang: Kinder wurden geboren, Ehen wurden geschlossen – und es wurde auch gestorben. Viele erlagen den Strapazen der Reise, und manche starben schon kurz nach der Ankunft, wobei die Zahlen derjenigen, die den Zug nach Ostpreußen nicht überlebten, recht unzuverlässig und widersprüchlich scheinen. Der eine oder andere blieb wohl in den Ortschaften, die die Trecks berührten, dafür schlossen sich wieder andere den Trecks an. So erreichten nach und nach Tausende von Menschen ein Land, von dem sie vorher nie gehört hatten und das so völlig anders war als die Heimat, die sie verlassen hatten.
Über die Trecks der Salzburger Exulanten gibt es erstaunlich genaue Informationen. Zum einen existiert eine Schrift, die fast alle Teilnehmer und die Reiseroute jedes einzelnen Trecks dokumentiert, zum anderen hat ein Hermann Gollub alle Namen der Salzburger Einwanderer erfasst und alphabetisch aufgelistet, größtenteils mit Angabe des Orts, wo die betreffenden Personen sich niederließen und mit Angabe der dort geborenen Nachkommen. Andererseits wurden leider ähnliche Namensschreibweisen zusammengefasst, was die Zuordnung in manchen Fällen erschwert. Dennoch: „der Gollub“ ist eine unglaublich detaillierte Fundgrube für jeden, der nach Salzburger Vorfahren sucht.
Nun wieder zurück zu meinen Vorfahren Johann Friedrich Pieck und seinen Eltern, Matthes Pieck und Maria Kohlekker. Die Abstammung der Maria Kohlekker lässt sich in väterlicher Linie zurückverfolgen bis zu Thomas Kohlekker und seiner Ehefrau Rosina Scharntner, die offensichtlich als Jugendliche den Treck nach Ostpreußen mitgemacht hatten. Marias Mutter, Catharina Stegenwallner (ebenfalls Salzburger Abstammung), lässt sich abstammungsmäßig bis zu Johann Stegenwallner (der kurz nach der Ankunft in Ostpreußen starb) und dessen Ehefrau Maria Schwaiger verfolgen, die mit ihrer Familie nach Ostpreußen gezogen waren.
Matthes Pieck wiederum stammt aus einer Verbindung zwischen Johann Pieck (*1766) und Margaretha Scharfhuetter (*1767) – und da stoßen wir schon auf den nächsten Salzburger Namen. Die Eltern der Margaretha werden mit David und Ursula Scharfhuetter angegeben. Zunächst hat mich irritiert, dass für die Mutter kein Geburtsname angegeben war. Eine sorgfältige Durchsicht der Gollub-Listen ergab dann: David und Ursula waren wohl Cousin und Cousine!
Die Scharfhuetter-Linie konnte ich weit zurückverfolgen, dank einer Aufstellung im „Salzburg-Wiki“. Offensichtlich lautete der ursprüngliche Name „Scharfetter“, der dann in Mehlkehmen zu „Scharfhuetter“ wurde. Nur bei der Linie des David Scharfhuetter fand diese Namensveränderung statt, bei allen anderen Linien, im Salzburger Land wie in Ostpreußen, blieb es bei „Scharfetter“. Der älteste bekannte Träger dieses Namens war Hans Scharfetter (*1547), der wohl bis 1584 als Besitzer des Scharfetthofs nachgewiesen ist; dieses Bauerngut, namengebend für die ganze Sippe, ist in Flachau gelegen. Davor gab es noch andere Schreibweisen des Namens. So hieß der älteste aufgeführte Besitzer des Hofs Hans Scharfiecht(er), er lebte in der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts und war der Urgroßvater des oben genannten Hans Scharfetter.
Es hat wohl verschiedene Versuche gegeben, den Namen Scharfiechter/Scharfetter zu deuten, die aber bisher zu keinem eindeutigen Ergebnis geführt haben. Auch eine Nennung des Hofs im Jahr 1304 als „Scharviehtses“ konnte die Deutungsversuche nur um eine slawische Variante (Scharfitt = Riedgras; es gab auch die Schreibweise „Scharfitthof“) bereichern, wobei ein slawischer Namensursprung durchaus möglich wäre, da slawische Stämme im Zuge der Völkerwanderung bis in diese Region kamen. Sicher ist allerdings, dass der Hof bis 1732/1736 in Familienhand war und im Zuge der Protestantenvertreibung verkauft werden musste.
Damit sind wir nun am Schluss dieser Reise durch Regionen und Jahrhunderte angelangt. Sicherlich wird es in den nächsten Jahren noch zu der einen oder anderen Ergänzung und Fortschreibung kommen; eine „Ahnenreise“ kommt nie an ein Ende und hat immer noch ein paar Nebenwege und Abzweigungen in petto.
Wenn man die Siedlungsgeschichte Ostpreußens so nachverfolgt, wie ich dies hier am Beispiel meiner Vorfahren ausgeführt habe, dann erscheint es mir erstaunlich, dass die ostpreußische Bevölkerung aus einem derart breit gestreuten Mix an Kolonisten entstanden ist. Schon in meiner Aufstellung, in der ja nur Besiedlungen ab dem Beginn des 18. Jahrhunderts nachweisbar sind, kommen Anteile aus Litauen, Polen/Masuren, dem Rheinland, Thüringen, Piemont/Savoyen und dem Salzburger Land zusammen. Doch auch die zu diesem Zeitpunkt „alteingesessenen“ Ostpreußen, die die verheerenden Seuchenzüge und kriegerischen Auseinandersetzungen des 17. Und 18. Jahrhunderts überlebt hatten, dürften schon einen deutlichen „Migrationshintergrund“ aufgewiesen haben, ist doch die Geschichte des Preußenlands zumindest seit dem Eintreffen des Deutschritterordens am Ende des 13. Jahrhunderts eine Geschichte der Besiedlung durch Kolonisten der deutschen und der angrenzenden Länder.
Und dennoch: Mein Großvater war ein “typischer Ostpreuße“, nicht nur der Sprache nach, die er nie assimiliert hat; ich habe seine ostpreußische Redeweise noch heute im Ohr. Ihn kennzeichnete auch all das, was man einem „typischen Ostpreußen“ nachsagte: sturköpfig und dickschädelig konnte er sein, und eben auch geradlinig in seiner ganzen Art. Und wenn ich die Plastik eines Ostpreußen vor dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg sehe, dann kommt es mir fast so vor, als habe mein Großvater dafür Modell gestanden …. Es gab sie also wohl, die „typischen Ostpreußen“, entstanden aus den verschiedensten völkischen und kulturellen Quellen.
Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herzlich bei all denen bedanken, die mir gezielt oder auch unbewusst mit den Ergebnissen ihrer genealogischen Forschungen geholfen haben, meine abstammungsmäßigen Wurzeln zu entdecken. Das ist der Segen der heutigen Zeit für jeden Ahnenforscher: Über das Internet erhält man eine derartige Fülle an Informationen, die man in früherer Zeit nur mit vieler Jahre Arbeit hätte zusammentragen können. Zudem sind die Kommunikation und der Austausch von Daten und Dokumenten erheblich beschleunigt. So entsteht ein Geben und Nehmen, dass es eine wahre Freude ist!“
Hans Henning Atrott
11. März 2013
Meine Anerkennung und Dank für diese Forschungen! Hier habe ich zum ersten Mal wirklich Neues über meinen Familiennamen erfahren. Bisher wußte ich, dass ich mütterlicherseits schon Rebellenblut in mir hatte. (Meine Mutter stammte von den Lottermosers aus Salzburg ab, die der katholische Bischof zur Auswanderung nach Ostpreußen zwang). Jedoch, dass väterlicherseits mit den Waldensern auch schon französische Rebellen gegen die Kirche vorhanden sind, wußte ich noch nicht. In Frankreich, wo ich viele Jahre wohnte, fühlte ich mich schon immer wie zuhause! Einige Atrotts sind dort wieder zurückgewandert, d. h. den Namen Atrott gibt es (wieder) in Frankreich. Nur vielleicht noch einige Anregungen zur Forschung: 1.) Es wäre zu überprüfen, ob zwischen dem elsäßischen Ortsnamen Ottrott (bei Obernai in der Nähe von Straßburg) und unserem Namen ein Zusammenhang besteht, anstatt des thüringischen Atterode. Dies kann umso mehr der Fall sein, weil die Litauer und auch Russen das O als A aussprechen. 2.) In den 1960ziger Jahren erzählte mir eine Atrott, die damals in Solingen lebte, dass die Atrotts nahe Trakehnen gelebt hätten (was auch Praßlauken sein könnte). Das berühmte Pferdegut gehörte ihnen zwar nicht, doch hatten sie diesem zugearbeitet. Der älteste Sohn erbte den Hof. Alle anderen mussten sich woanders verdingen. Mein Großvater Karl Atrott ging nach Bačkininkėliai (an der Memel in der Nähe von Kaunas in Litauen), wo er als Gutsverwalter tätig wurde und wo mein Vater Wilhelm am 2.9.1904 geboren wurde.
Hans Henning Atrott, Autor des Buches „Jesus‘ Bluff – The Universal Scandal of the World“, Baltimore (PublishAmerica) 2009