Buchvorstellung: Adel in Hessen

Buchvorstellung:	Adel in Hessen

Das vorgestellte Buch ist das Ergebnis von zwei Tagungen 2008 und enthält 27 Beiträge, die den Adel in Hessen in der Vielfalt seiner verschiedenen Gruppen, seiner Lebensführung und seinem Selbstverständnis vorführen. Ebenso wenig wie der Adel selbst, bildet ‚Hessen’ ein einheitliches Untersuchungsgebiet. Denn Hessen war seit 1567 in die Linien Hessen-Kassel (Kurhessen) und Hessen-Darmstadt geteilte Landgrafschaft, das katholische Reichskloster, dann Fürstbistum Fulda, der katholische Deutsche Orden und die gemischtkonfessionellen kleinen Reichsgrafen und Reichsritter. Die Grafschaft bzw. das Herzogtum Nassau wird, nur im Zusammenhang der Standesherren kurz erwähnt. Es wird der Zeitraum vom spätmittelalterlichen Alten Reich im 15. Jahrhundert über das Zeitalter der Frühen Neuzeit bis zur bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts behandelt.

Den Reigen der Beiträge eröffnet Christine Reinle mit einem Bericht zur sozialen und politischen Lage des landsässigen Adels in der ungeteilten Landgrafschaft im Zuge ihrer Konsolidierung zum fürstlichen Territorium im 15. Jahrhundert.
Von den folgenden Beiträgen zur Frühen Neuzeit sind mehrere den Reichsgrafen und Reichsrittern gewidmet. Gabriele Haug-Moritz behandelt die Einrichtung der Reichskreise und die Formierung der Grafenvereine. Unter den beigegegeben Karten ist diejenige zum Wetterauer Grafenverein aus dem Geschichtlichen Atlas von Hessen hervorzuheben. Zu diesen Wetterauer Grafen zählte Graf Anton von Ysenburg, der Mitte des 16. Jahrhunderts fünfzigjährig eine unstandesgemäße zweite Ehe einging. Die politischen Nöte der Reichsritter um 1600 sind Gegenstand eines Beitrages von Richard Ninnes über die konfessionelle Bündnispolitik der Reichsritterschaften am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges.

Das Thema der adeligen Pfründen, Posten und Karrieren behandeln auch der Beitrag von Katharina Schaal zur Ballei Hessen des Deutschen Ordens und die prosopographische Untersuchung der Obervorsteher der ritterschaftlichen Stifte in der Landgrafschaft Hessen von 1532 bis 1810 durch Gerhard Aumüller.

Jutta Taege-Bizer stellt die Reichsgräfin Benigna von Solms-Laubach (1604-1702) vor, die eine bedeutende Rolle in der pietistischen Bewegung spielte, und analysiert den Gehalt und die Stoßrichtung der Hinwendung zum Pietismus im Adel. Für den Zweig der Reichsgrafen Solms-Rödelheim skizziert Tobias Busch die Grundzüge der adeligen Ökonomie in einer Miniatur-Landesherrschaft von der Mitte des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Die Rittergutswirtschaft dagegen behandelt Dieter Wunder anhand der 1658 geadelten Familie von Geyso und des 1696 in den Freiherrenstand erhobenen O. Ch. von Verschuer. In einem zweiten Aufsatz zu diesen neuadeligen Geschlechtern untersucht Wunder die soziale Integration der über den Militär- und Fürstendienst aufgestiegenen Familien in die altadelige hessische Ritterschaft bzw. in die fränkische Reichsritterschaft, die im 17. und 18. Jahrhundert im Gegensatz zum 19. Jahrhundert noch erfolgreich war. Zur Funktionsweise der lokalen Herrschaft des angesessenen Adels enthält der Band einen Aufsatz von Armand Maruhn über die Prozesse adeliger Grundherren mit den Dorfgemeinden vor dem hessischen Hofgericht im 16. Jahrhundert.

Die frühneuzeitliche Partizipation des Adels an Herrschaft und Verwaltung in der Form von Landtagen thematisiert in diesem Band  Robert von Friedeburg mit seinem Beitrag zur historischen Semantik und politischen Ideengeschichte. Anhand der Konflikte zwischen der Regentin Amalie Elisabeth und den adeligen Landständen Mitte des 17. Jahrhunderts untersucht von Friedeburg die Verwendung und die Bedeutung der Selbstbezeichnung der Adeligen als ‚Patrioten’ und den recht kleinen politischen Handlungsspielraum adeliger Landsassen.

Dem Komplex der adeligen Kultur und Lebenswelt lässt sich eine weitere Gruppe von Aufsätzen zuordnen. Die spätmittelalterlichen Rechtsfiguren der Ganerbschaften, der Burgfrieden und Geschlechterverträge werden von Joachim Schneider auf ihren funktionalen Nutzen in der Frühen Neuzeit für die Selbstbehauptung der jeweiligen Geschlechter hin diskutiert. Stefan Krieb widmet sich anhand zweier Beispiele den Familienchroniken hessischer Adelsfamilien um 1600. Die Repräsentation des Landadels in seinen Bauten stellt Christian Ottersbach mit seinem Aufsatz zu Burg, Schloss und Herrenhaus vor. Den Aspekt Adel und Stadt diskutiert Andrea Pühringer in ihrem Aufsatz zum Frankfurter Patriziat, zur Errichtung städtischer Adelspalais und zur Entwicklung städtischer Zentren zum Typus der Residenzstadt.

Den Adel in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts behandeln die übrigen sieben Beiträge. Ewald Grothe gibt einen Überblick über die Teilnahme der hessischen Ritter und Standesherren an den konstitutionellen Landtagen in Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel bis 1866. Gisela Ziedeck setzt diese Thematik fort durch ihre Studie zur althessischen Ritterschaft in der zweiten Jahrhunderthälfte, insbesondere nach der Eroberung Kurhessens durch Preußen. Speziell den Standesherren im 19. Jahrhundert gilt ein Beitrag von Frank Jung. Diese neu geschaffene Gruppe erlangte trotz allen Lamentos über ihre untergegangene Herrlichkeit – wie viele andere grundbesitzende Adelige – durch die bürgerliche Gesellschaft eine für sie sehr vorteilhafte Sanierung ihrer Finanzen, die in vielen Fällen erst ihren sozialen Fortbestand sicherte. Dies zeigt auch der Beitrag von Alix Johanna Cord, die den Übergang der Grafen Solms-Rödelheim zur Gutswirtschaft am Beispiel des Gutes Wickstadt vorstellt.

Den Abschluss des Bandes bildet der Abdruck eines Vortrags von Eckart Conze über den Adel in der Gegenwart, die mit diesem Thema verknüpften Vorurteile und das Selbstverständnis des Adels.

Dieses Buch bietet für den hessischen Familienforscher eine Vielzahl von interessanten Beiträgen, die die Geschichte von hessischen Familien im adeligen Umfeld begleitet.

Titel:    Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert
Reihe:    Veröffentlichungen der Historischen Kommision für Hessen 70
Herausgeber:    Conze, Eckart; Jendorf, Alexander; Wunder, Heide
Ort:    Marburg
Verlag:    Historische Kommission für Hessen
Jahr:    2010
ISBN:    978-3-942225-00-7
Umfang/Preis:    639 S.; € 39,00

Quelle: HSozuKult

Bemerkungen

Die E-Mail-Adresse wird privat gehalten und nicht angezeigt.

  • clarkHH

    20. Januar 2011

    Habe ich mit Interesse gelesen: Die Kanzlei von Geyso (Harburg) hat mich erfolgreich bis zum OLG in Frankfurt begleitet.